Vom 19. – 30.03.12 habe ich am Lycée Maurice Genevoix in Decize (Département Nièvre, Académie de Dijon), südlich von Paris an einem Lehreraustausch teilgenommen. Decize ist eine Kleinstadt, direkt an der Loire gelegen, allerdings nicht sehr touristisch. Die Region war wie das Ruhrgebiet einmal von Kohleminen durchsetzt. Die Nachfahren der italienischen Einwanderer sind mittlerweile völlig integriert, eine ganze Reihe Lehrer trugen italienische Namen. Nach wie vor ist aber die Haupteinnahmequelle die Landwirtschaft und insbesondere das Charolais-Rind, das ein sehr zartes, etwas helleres Rindfleisch liefert. Eine Unmenge an Burgen und Schlössern aus allen Jahrhunderten, überwiegend noch in privater Hand und bewohnt, sowie bis zu tausend Jahre alte romanische Kirchen zeugen von einer reichhaltigen kulturellen Tradition, ohne dass einzelne Gebäude oder Orte von überregionaler Bedeutung wären. Die Loire und der Allier, beide wilde Flüsse, die sich durch sandigen Grund schlängeln, bieten Lebensraum für einzigartige Pflanzen und Tiere und werfen Sandbänke und Furten auf, die man sonst in Europa nicht zu sehen bekommt. Hier nun der Bericht, den ich an den Pädagogischen Austauschdienst, der diese Art Begegnung organisiert, geschickt habe.
- Allgemeines
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Das Lycée
- Die Seconde
- Die Première
- Die Terminale
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Unterrichtskonzepte- und Methoden
- Der Mathematikunterricht am Lycée
- Der Fremdsprachenunterricht am Lycée
- Fazit
- Allgemeines
Das Lycée-Collège Maurice Genevoix in Decize umfasst vier eigentlich unabhängige Systeme. Wie gesagt das Lycée (Enseignement général et technologique), das Collège, das Lycée professionnel und die „classes BTS“, das sind schulisch organisierte Ausbildungen für Kaufleute kleinerer und mittelgroßer Unternehmen für Schülerinnen und Schüler mit Abitur. Da es sich in einer ländlichen, dünn besiedelten Region Frankreichs befindet, wohnen ca. 120 Schülerinnen und Schüler im angeschlossenen Internat.
Auch wenn man wie ich bereits als Fremdsprachenassistent vor etlichen Jahren an einer französischen Schule tätig war ist es nach wie vor beeindruckend, wie diese in der Regel ausgestattet sind. Neben der Schulleitung, die nicht mehr unterrichtet oder gar nicht aus der Lehrerschaft rekrutiert ist (2 Personen), gibt es eine Verwaltung (4 Personen), alle jeweils mit Sekretariat. Um das Gebäude kümmert sich ein Hausverwalter, ein Gärtner (das Schulgelände ist riesig), drei Techniker mit eigener Werkstatt und unzählige Reinigungskräfte. Neben den am Lycée unterrichtenden 55 Lehrern gibt es 2 „Erziehungsberater“ mit 9 Assistenten (in der Regel sind dies studentische Hilfskräfte), die neben Aufsichten, Anwesenheit und Belangen des Internats wie Freizeitgestaltung und Nachtwachen auch härtere pädagogische Nüsse zu knacken helfen. Eine „assistente sociale“ erfüllt Aufgaben, die denen unserer Sozialarbeiter nahekommen dürften und eine Krankenschwester hat tagsüber Bereitschaft vor Ort. Die psychologische Beratung ist wie in Deutschland überschulisch organisiert. Schließlich gibt es am Lycée noch 2 Bibliothekarinnen und für die Naturwissenschaften 2 Laboranten/innen und eine Wäscherei, in der auch eine Näherin angestellt ist.
Die Schulleitung und die Verwaltung sind für den gesamten Schulkomplex zuständig, das Collège aber hat zum Beispiel eine eigene Bibliothek, ein eigenes „vie scolaire“ (= Erziehungsabteilung) und eine eigene Krankenschwester. Auf dem Schulgelände befindet sich desweiteren die Kantine mit mindestens 10 weiteren Angestellten Köchen, Spülhilfen etc. Hier werden täglich ca. 850 Essen zubereitet (Vorspeise, Hauptgericht, Milchprodukt (Käse oder Quark) und Dessert).
Außerdem gibt es einen Fuhrpark mit zwei Kleinbussen und mehreren PKW, nach Lycée und Collège getrennt. Schließlich existiert eine Empfangsdame, die Telefonate entgegennimmt und die Post verteilt. Mittlerweile sind nahezu sämtliche Unterrichtsräume mit Beamern ausgestattet, so dass das Notebook quasi zur Grundausstattung eines jeden Kollegen geworden ist. Der Anschluss befindet sich in der Nähe der Tafel. Von dort zeigen die Kollegen Text-, Bild- oder Tondokumente und können sie vor den Augen der Schülerinnen und Schüler mit den jeweiligen Programmen bearbeiten.
Die erste Reaktion auf diese Luxuriöse Ausstattung ist immer noch großes Erstaunen, gepaart mit der Frage: „Was machen all diese Menschen den ganzen Tag?“. Nach einigem Nachdenken fällt einem auf, dass alleine schon die Kantine und das Internat einen im Vergleich zu deutschen Schulen erheblich höheren Verwaltungsaufwand bedeuten. In der Tat ist das deutsche Modell, viele Reparaturen und Aufgaben an private Firmen „outzusourcen“ ein gangbarer und vielleicht auch Kosten sparender Weg. Aber ist es wirklich korrekt, dass ich als Lehrer tausende Euros von Eltern auf meinem privaten Konto für Klassenfahrten einsammle, ohne dass ich je geprüft werde? Ist es korrekt, dass ich meine private Handynummer auf Klassenfahrten bekannt gebe? Ist es korrekt, dass der Förderverein unterbezahlte Angestellte ohne Ausbildung kochen lassen muss, da sich die Stadt Oberhausen oder andere öffentliche Träger nicht um unsere Kantine kümmern? (In meinen mittlerweile 15 Berufsjahren an Gesamtschulen ist mir noch keine deutsche Ganztagsschule begegnet, an der die Mittagsverpflegung gut funktioniert.) Ist es korrekt, dass an einer Schule unserer Größe nur im Schnitt ca. 40 warme Essen pro Ganztag (Standort Egelsfurthstraße) ausgegeben werden? Die Wahrheit, so scheint mir, liegt wie so oft zwischen beiden Systemen. Es liegt an uns, Änderungen herbeizuführen.
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Das Lycée
- Die Seconde
Mit der „réforme du lycée“, im November 2009 in Kraft gesetzt und seit dem Sommer 2010 auf die „2nde générale et technologique“ (allgemeine und technologische Erprobungsphase in Abgrenzung zur „2nde professionelle“, die eher der Berufsschule zuzuordnen ist ) angewandt, wurde der sogenannte „tronc commun“ (der Stamm der Fächer, die im Klassenverband unterrichtet werden) erweitert. Ihm gehören nun neben Französich, „histoire-géographie“, erste und zweite Fremdsprache, Mathematik, SVT „science de la vie et de la terre“ (Biologie), Physik, Biologie, EPS „éducation physique et sportive“ (Sport) und ECJS „éducation civique, judridique et sociale“ (Politik, Rechtskunde und Sozialwissenschaften) an, wobei die meisten Fächer 3 bis 4-stündig, die Naturwissenschaften je 1 ½ stündig, Sport 2-stündig und ECJS ½-stündig unterrichtet werden.
Hinzu kommen zwei Fächer aus der Fächergruppe EE „Enseignements d’exploration“, die zur Orientierung der Schülerinnen und Schüler dienen und die Wahl ihres Schwerpunktes in der „1ère“ (Q1) dienen sollen. Eines dieser Fächer muss SES „sciences économiques et sociales“ oder PFEG „principes fondamentaux de l‘économie” sein. In beiden geht es um die Darstellung ökonomischer Zusammenhänge. Im ersten geschieht dies etwas praktischer und angewandter, im zweiten eher theoretisch und abstrakt. Zum einen erhalten Schülerinnen und Schüler in Frankreich hier eine ökonomische Grundbildung, zum anderen werden sie in einem Fach unterrichtet, dass sie aus dem Collège nicht kennen, das aber für ihre Schwerpunktsetzung in der 1ère und terminale (Q2) erhebliche Bedeutung bekommen kann. Das zweite Fach aus der Fächergruppe EE kann wieder SES oder PFEG sein, es werden aber am Lycée Maurice Genevoix (LMG) weitere Fächer in dieser Gruppe angeboten wie MPS „méthodes pratiques et scientifiques“, „littérature et société“, „Langues et cultures de l’Antiquité“ (am LMG LateinI) oder Spanisch als dritte Fremdsprache. Bis auf die Fremdsprachen (3-stündig) werden alle Fächer 1 ½-stündig unterrichtet. Das Fach MPS ist nach fachübergreifenden Oberthemen organisiert, wie zum Beispiel „Kriminologie“. Hier werden in Chemie Blutanalysen und zum Beispiel in Mathematik Kryptologie gelehrt. Nachteil ist, dass jeder Kollege pro Sequenz nur wenige Stunden unterrichtet.
Die Fremdsprachen gelten gleichzeitig auch als „Options“, „Options“ müssen also nur von Schülerinnen und Schülern angewählt werden, die keine dritte Fremdsprache lernen. Als „Options“ werden „Mathematiques et Sciences Physiques en Allemand“ (2-stündig) oder EPS (3-stündig) angeboten. Mit dem letzten Fach der 2nde, dem sogenannten „Accompagnement Personnalisé“ wurde eine Möglichkeit eingeführt, individuell auf Schülerbedürfnisse einzugehen. Die Schülerinnen und Schüler werden hier in kleinen Gruppen gefördert oder gefordert. Jeweils nach den Ferien werden die Gruppen gewechselt. Am Lycée Maurice Genevoix stehen eine Förderung in Mathematik oder Französisch, ein Kunstprojekt „art plastique“ und „sciences économiques“ zur Wahl. In der Mathematikförderung fand die einzige längere Phase von Einzelarbeit statt, die ich im Mathematikunterricht beobachten konnte (s.u.).
- Die Première
Mit dem Übergang in die 1° (Qualifikationsphase 1) entscheidet sich jeder Schüler für eine „filière“. Zur Wahl stehen S („scientifique“), L („littéraire“), ES („économique et sociale“) [= filières générales] und STMG („Sciences et Technologies du Management et de la Gestion » = filière technologique). Dabei verschwinden Mathematik, Physik, Chemie und Biologie aus dem « tronc commun » und werden in den einzelnen „filières“ mit unterschiedlicher Auswahl und unterschiedlichen Stundenzahlen wieder aufgenommen. In der „filière“ S erscheinen sie alle, in der „filière“ L nur Mathematik. Zusätzlich können hier die Fächer „Litteratur“, „ausländische Litteratur“, „Kultur und Sprachen der Antike“ (am LMG Latein), Kunst oder die dritte Fremdsprache gewählt werden. In der Filière ES sind neben Mathematik auch „Wissenschaften“ (fachübergreifend) und Sozial- und Wirtschaftswissenschaften anwählbar. Ansonsten gibt es noch einen weiteren Wahlbereich für den gesamten Jahrgang, bestehend aus Sport, der dritten Fremdsprache, „Kultur und Sprachen der Antike“ oder Kunst. In allen Fächern, die in der „Terminale“ nicht weiter fortgeführt werden (in der „filière“ S zum Beispiel Französisch oder „histoire-géographie“ machen die Schülerinnen und Schüler bereits in der „Première“ das Abitur.
3. Die Terminale
Auch in der „Terminale“ verkleinert sich der „tronc commun“ der gemeinsam unterrichteten Fächer um Französisch und „histoire-géographie“. Zusätzlich zu den in der „Première“ gewählten Fächern können die Schülerinnen und Schüler sich weiter spezialisieren. In der „filière“, nun auch „série“ S genannt, stehen die „spécialités“ Mathematik, Physik-Chemie, Biologie oder Informatik zur Verfügung, in der „série“ L gibt es Kunst, Kultur und Sprachen der Antike, dritte Fremdsprache, Vertiefung der ersten oder zweiten Fremdsprache, Mathematik oder „Droit et grands enjeux du monde contemporain“ (Recht und Zeitgeschehen (?)) zur Wahl und in der „série“ ES entscheiden sich die Schülerinnen und Schüler zwischen Mathematik, Sozial- und Politikwissenschaften oder dem Vertiefungskurs Ökonomie. In der „filière technologique“ STMG spezialisieren sich die Schülerinnen und Schüler in den Bereichen „Gestion et Finance“ (Finanzverwaltung), „Mercatique“ (Management) oder „Ressources humaines et Communication“.
Zur Ermittlung der Abiturnote gibt es für jede „filière“ ein unterschiedliches System von Koeffizienten, mit dem die einzelnen Fächer mit einem Faktor versehen werden. Somit werden die Schwerpunktfächer einer jeden „filière“ gewichtet, gehen also stärker in die Durchschnittsnote ein als die nicht dem Schwerpunkt zugehörigen Fächer.
Mit der „réforme du lycée“ soll zum einen erreicht werden, dass die Schülerinnen und Schüler besser auf die Wahl des Schwerpunktes in der „Première“ vorbereitet werden. Außerdem soll der Wechsel bei einer möglichen Fehlwahl leichter sein als dies vorher der Fall war. Schließlich zeigt sich mit dem „accompagnement personnalisé“, dass zweistündig bis in die „Terminale“ unterrichtet wird ein Element der individuellen Förderung einzelner Schülerinnen und Schüler, unabhängig ihrer „filière“ oder „série“.
- Unterrichtskonzepte und -methoden
Hinsichtlich der Methoden im Mathematik- bzw. Deutschunterricht ist zu sagen, dass die gemachten Beobachtungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Es wurden drei Deutsch- bzw. drei Mathematik- und zwei Englischlehrer anhospitiert, mit anderen Worten, die Stichprobe ist äußerst gering. Andererseits zeichnen sich aber doch grobe Linien ab, die eine Unterrichtskultur andeuten. Diese Linien wurden von den Kollegen in der Regel auch so bestätigt. Trotzdem müssen alle Beobachtungen als Einzelfälle gewertet werden und sollen auch hier so dargestellt werden. Bis auf Unterrichtsbesuche bei einer Deutschlehrerin am Collège fanden alle Hospitationen am Lycée statt, beziehen sich also im Vergleich auf die gymnasiale Oberstufe in Deutschland.
1. Der Mathematikunterricht am Lycée
So versteht sich der Mathematikunterricht in der Regel noch sehr viel wissenschaftspropädeutischer als er dies in Deutschland tut. Einschränkend ist hier anzumerken, dass ich überwiegend in der „filière S“ (=scientifique) hospitiert habe. Diese „filière“ hat den Schwerpunkt Mathematik und Biologie und gilt als die schwerste. In ihr wurden die ehemaligen „filières“ C (= Mathematik) und andere naturwissenschaftliche „filières“ zusammengelegt. Von daher enthält der Unterricht immer noch Elemente für potentielle Mathematikstudenten, auch wenn in den Kursen nur noch eine deutliche Minderheit Mathematik studieren wird. Die im November 2011 umgesetzte „réforme du lycée“ verschärft die oben angedeutete Diskrepanz erheblich, da durch sie noch einmal die Wochenstundenzahl des Faches Mathematik reduziert wurde.
Der Mathematikunterricht in Frankreich wirkt konservativer und lehrerzentrierter als in Deutschland. Zentrale Unterrichtsmethode ist der „cours magistral“, der sich mit kurzen Ansätzen von Unterrichtsgesprächen im Einzelfall über eine Doppelstunde (2×55 Minuten) erstrecken kann. Die wesentliche Aufgabe des Schülers besteht in dieser Zeit darin, dem Lehrer gedanklich zu folgen, ein eventuelles Tafelbild abzuschreiben und ggf. eigene Notizen zu erstellen. Gelegentliche Übungen sind eher kurz und werden zügig vom Lehrer korrigiert, häufig haben weniger als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler einen Lösungsansatz, wenn der Lehrer die Aufgabe an der Tafel bespricht. Längere Übungsphasen mit umfangreicheren Aufgabenpaketen konnte ich im eigentlichen Unterricht nicht beobachten.
Zuweilen ist der „cours magistral“ von einem Skript begleitet, dass an die Schüler verteilt und anschließend vortragsartig erläutert wird. Punktuell werden einzelne Schüler beteiligt. In der Regel sind es in diesen Phasen aber nicht mehr als eine Hand voll. Die Skripte der Kollegen sind mitunter sehr gut ausgearbeitet. Zuweilen lesen sie sich wie universitäre Mathematikbücher: Definition, Satz, Korollar, Erläuterung, Satz … Lediglich die Beweisführung wird im Mathematikunterricht auch in Frankreich mittlerweile mehr und mehr vernachlässigt. Selbst Anteile von Wiederholungen im „cours magistral“, die die Schülerinnen und Schüler selbst durchführen können, werden auch vom Lehrer präsentiert.
Sicherungsphasen konnte ich in der Regel nicht beobachten. Rückfragen im Sinne von „Erklär das noch einmal.“ oder „führ das mal an diesem Beispiel vor.“ kamen quasi nicht vor.
Die meisten Gegenstände im französischen Mathematikunterricht bleiben innermathematisch und abstrakt. Mögliche Bezüge zu Anwendungen stehen oft erst am Ende der Sequenz, wenn die reine Mathematik besprochen und abgeschlossen ist.
Aufgaben und Hausaufgaben in Frankreich sind häufig auch Aufgaben mit einem hohen Anteil an Nachweisen, Erläuterungen oder kleinen Beweisen. Das Einüben und festigen von Algorithmen oder standardisierten Lösungsverfahren in ähnlichen Aufgabenstellungen konnte ich im Unterricht nicht beobachten.
Hinsichtlich der Tatsache, dass mir ein Teil des mathematischen Fachvokabulars fehlt und dass ich einige Gegenstände des Mathematikunterrichts seit vielen Jahren nicht unterrichtet habe, konnte ich mich recht gut in die Situation eines Schülers einfinden.
2. Der Fremdsprachenunterricht am Lycée
Der Fremdsprachenunterricht am Lycée erscheint mir sehr viel deutlicher in die Bereiche „production orale/ écrite“ beziehungsweise „compréhension orale/ de l’écrit“ sequenziert zu sein, als dies bei uns der Fall ist. Vielleicht ist dieser Eindruck auch nur entstanden, da in der Zeit meiner Hospitation insbesondere die „compréhension orale“ im Fach Englisch abgefragt wurde und die Schülerinnen und Schüler besonders darauf vorbereitet wurden: Dazu wurden im Fach Englisch sämtliche Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs in Leistungsgruppen nach dem Europäischen Referenzrahmen für Fremdsprachen in die Niveaus A2 bzw. B1 eingeteilt.
Neueste Methode bei der „compréhension orale“ ist das Abfragen des Verstandenen in der Muttersprache. Dies macht insofern Sinn, als die Schülerinnen und Schüler die Gesamtheit des Verstandenen präsentieren können und eventuelle Hemmungen, die Fremdsprache zu benutzen, wegfallen. Allerdings werden so auch sehr viel weniger Strukturen der Fremdsprache umgewälzt, so dass einige Kollegen die zu hörenden Inhalte zumindest in der Fremdsprache an der Tafel notierten.
Der Fremdsprachenunterricht in Frankreich orientiert sich stärker am Europäischen Referenzrahmen für Fremdsprachen als in Deutschland. Auch in Frankreich werden die geforderten Niveaus oft nicht erreicht.
Insgesamt erscheinen die Methoden im Fremdsprachenunterricht sich nicht wesentlich von denen in Deutschland zu unterscheiden. Übungen zum Hörverstehen mit sogenannten „grilles d’écoute“, also durch Lückentexte oder z.B. Ankreuzaufgaben gelenktes Hörverstehen konnte ich beobachten, ebenso wie Lektionsarbeit oder die Arbeit an kleinen Texten. Neben dem Unterrichtsgespräch wurden weitere Methoden wie Diskussionsrunden oder Brainstorming gewählt. Auch differenzierten Unterricht konnte ich beobachten. Die Franzosen nutzen ebenso den Sprachvergleich mit dem Englischen wie wir. Die Unterrichtsphasen am Lycée dauern länger als die am Collège. Letztlich unterscheidet sich die Phasierung des Unterrichts nicht wesentlich von der in Deutschland.
Die Schülerbeteiligung in den Fremdsprachen erscheint deutlich höher als im Fach Mathematik. Allerdings konnte ich auch hier kaum längere Phasen von Einzelarbeit beobachten. Der überwiegende Teil der Übungen wurde im Unterrichtsgespräch durchgeführt.
Die Motivation der Schülerinnen und Schüler am Collège ist hoch, Deutsch gilt als schwere Sprache, so dass sie nur von wenigen gewählt wird. Die Lerngruppen sind klein und die Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie arbeiten müssen und tun dies in der Regel auch. Das Niveau erschien mir erstaunlich hoch. Am Lycée ändert sich dies leider. In der „filière L“ (littéraire) finden sich alle sprachbegeisterten Schülerinnen und Schüler, so dass das Niveau hier weiterhin recht hoch ist. Da aber mit der „réforme du lycée“ von 2009 die Rolle der Fremdsprachen, insbesondere der zweiten Fremdsprache gestärkt wurde und auch nicht mehr zwischen erster und zweiter Fremdsprache bei der Kursbildung unterschieden wird, ist es in den anderen „filières“ zum Teil recht mühsam, zu unterrichten.
Die Fremdsprachen, insbesondere das Deutsche, haben am Collège wie am Lycée Maurice Genevoix einen besonderen Stellenwert. Es gibt einige „classes européennes“ bzw. „options“, wie zum Beispiel „Geschichte auf Deutsch“ (3e = 9./10. Klasse), „Physik auf Deutsch“ oder „Mathe auf Deutsch“ (1° = Qualifiaktionsphase 1). Allerdings werden diese Fächer in der Regel von sehr wenigen Schülerinnen und Schülern angewählt. Trotzdem haben Sie für das Schulprofil eine gewisse Bedeutung und werden zu Werbezwecken verwendet.
- Fazit
Insgesamt war der Einblick in das Lycée Maurice Genevoix eine äußerst bereichernde Erfahrung. Zum einen, da ich gut mit meinem Austauschkollegen harmoniere, zum anderen da ich überwiegend offen und sehr unkompliziert empfangen wurde. Neben der Teilnahme am normalen Unterricht, an den Fächern der „options“, des „enseignements d’exploration“ und der „méthode et pratique des sciences“ habe ich auch an einem „conseil de classe“ (hier eine Zeugniskonferenz) teilgenommen, bei dem interessanter Weise im Gegensatz zu Deutschland auch Eltern und Schülervertreter beteiligt sind. Außerdem habe ich die Schulleitung bei einer Präsentation des Lycée an einem benachbarten Collège begleitet und so auch wertvolle Erfahrungen im Bereich Schulverwaltung und Organisation gesammelt. Auch hier beeindruckten mich die Offenheit und das Vertrauen, mit denen ich an bestehenden Problemen der Schule beteiligt wurde.
Letztendlich überraschen auch die unzähligen Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Frankreich im Lehrer-Schüler-Verhältnis und im Lehreralltag, so dass ich das Gefühl hatte, sofort in Frankreich auch unterrichten zu können.
(M. Koch)
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