
Unsere stellvertretende Schulpflegschaftsvorsitzende, Frau Heiermann-Lauber, hat der Redaktion soeben einen interessanten Artikel zukommen lassen. Wer einen Fernseher besitzt, einen PC, Laptop oder gar ein Smartphone, sollte sich diesen einmal zu Gemüte führen…
Wer ist Spitzer ?
Als ich meinen Übungsleiterschein im Mai dieses Jahres verlängert habe, lernte ich Manfred Spitzer kennen.
Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer ist Psychiater, Psychologe und Arzt. Er ist ärztlicher Direktor an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und hat die Gesamtleitung des dort ansässigen Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL).
Spitzer zeigte auf, dass der Bildschirmkonsum (Fernsehen, Computer- und Handynutzung) sich negativ auf die Entwicklung unserer Kinder auswirkt. Der Mensch lernt immer, d.h. sein Gehirn lechzt nach Input. Das Gehirn versucht „Regelmäßigkeiten in der Erfahrung der Umgebung“ zu entdecken und anzuwenden. Durch die vielen Wiederholungen mit unseren Sinnen (Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Bewegen) findet es für den jeden Menschen ein für sich brauchbares Handeln. Bei der Bildschirmerfahrung entfällt die körperliche Erfahrung. Aber die Erfahrung braucht der Mensch um sich in seiner Welt zurechtzufinden.
Kinder vor dem Schulalter sollten kein oder wenig fern sehen, damit sie aktiv ihre Umgebung wahrnehmen können, d. h. nicht nur körperliche Erfahrungen sammeln sondern auch Worte lernen und sie richtig gebrauchen. Kleinkinder wissen die Grammatik durch ständige Kommunikation (Beispiel und Anwendung) und Interaktion mit anderen Menschen anwenden zu können.
Warum die Qualität des Lernens im Kleinkindalter besonders wichtig ist; darauf komme ich später noch einmal zurück (s. Thema: Gedächnisspuren). Hier wird der Grundstein für die Entwicklung jedes Kindes gelegt: sie haben Übergewicht, Sprachstörungen, ADHS, LRS und die Entwicklung zur Fähigkeit des Lesens hat drastisch zugenommen.
„… Und ebenso wie man heute sehr viele Zivilisationskrankheiten als Ausdruck eines Missverhältnisses der frühen Lebensweise (jagen und Sammeln, also viel Bewegung und ballaststoffreiche Nahrung) und des modernen Lebensstils (wenig Bewegung, ballaststoffarme Nahrung) versteht, lassen sich die negativen Auswirkungen der digitalen Medien auf geistig-seelische Prozesse im evolutions- und neurobiologischen Rahmen besser begreifen. Es können hierbei ganz unterschiedliche Mechanismen und Prozesse beschrieben werden, die kognitive Leistungen wie Aufmerksamkeit, Sprach- oder Intelligenzentwicklung betreffen, sich also letztlich auf die Funktion des menschlichen Geistes beziehen….“
Spitzer hat nicht nur Thesen aufgestellt sondern durch seine und fremde Studien belegt.
Die ersten kleinkindlichen Erfahrungen sind besonders wichtig – es finden physiologische Prozesse im Gehirn statt, die sich aufgrund der ersten immer wiederkehrenden gemachten Erfahrungen verstärken und vermehren: Milliarden Nervenzellen im Gehirn, die Neuronen, stehen in Verbindung mit „Nervenknoten“ im Gehirn, den Synapsen, die wiederum aktivieren die Nervenfasern, die z. B. im Tast-, Seh- oder Riechorgan enden.
Beispiel:
Das Kind berührt etwas mit seinen Fingern (Tastorgan). Impulse gehen vom Tastorgan über die Nervenfasern zu den Synapsen, die wiederum Kontakt zu den Neuronen haben, die die Information aus der Umgebung aufnehmen, verarbeiten und eine für den Organismus (menschlichen Körper) günstige oder ungünstige Reaktion wie Wohlbefinden oder Schmerz etc. hervorruft.
Die Synapsenstärken ändern sich durch die gemachte Erfahrung, die der Mensch durch sein Handeln erfährt. Synapsen geben Impulse mit unterschiedlicher Stärke weiter: abhängig von der Anzahl der gerade aktiven Neuronen ein Impuls an eine aktive Synapse weitergegeben wird. Synapsen, die weniger angesprochen werden, werden schwächer, die häufig angesprochenen werden dicker. So entstehen Gedächnisspuren. Tiefe Gedächnisspuren entstehen, wie schon erwähnt, durch wiederkehrende positive Erfahrung, die das Individuum (Kind, Mensch) durch sein Handeln erfährt. Zufällige oder wenig gemachte Erfahrungen hinterlassen kaum Spuren.
Das ist die Grundlage “ für jede Form von Lernen und Gedächnis“ und zeichnet jedes Individuum aus. Wer lernt, kann in Zukunft besser auf die Welt reagieren bzw. sich in ihr verhalten.
Beispiel 1:
Vor dem Bildschirm lernt man nicht, dass Schnee Kälte oder Regen und Nässe bedeutet. Das muss man am Körper erfahren. Der Bildschirm zeigt den Schnee oder den Regen ohne dessen Eigenschaften zu erkennen. Es sind naturgegebene Regeln.
Beispiel 2:
Aber es gibt auch die von Menschen erschaffenen Regeln. Wie muss sich das Kind in seiner Umwelt verhalten. Die Prägung durch seine Mitmenschen: Familie, Freunde, Mitschüler zu Hause und in der Schule erfährt das Kind durch Anwesenheit, Kontakt untereinander (Lernen) als auch durch sein Verhalten.
Beispiel 3:
Mit Aktivitäten im sportlichen Bereich setzt man sich mit seinem Körper auseinander: wie fühlt es sich für meinen Körper an, was macht er mit mir, welche Konsequenz hat er für mich, wenn ich mich bewege (Fitness, Muskelkater, Muskelaufbau, etc.). Vor dem Bildschirm div. Medien bekommt das Kind diese Erfahrung nicht.
Beispiel 4:
Internetnutzung kann “Lernen“ unterstützen aber nicht ersetzen. Der Publizist Nicolas Carr sagte über sich, dass er durch intensive Bildschirmnutzung „…die Konzentration und Kontemplation
(Betrachtungsweise ) längere Abschnitte schreiben zu können, zerstört. Seine Gedächnisspuren sind so angelegt, dass sein Geist Information immer so aufnehmen möchte wie sie durch das Netz geliefert werden.“
Spitzer sagt in seinem Buch “Digitale Demenz“: “ Wenn nun das Gehirn lernt …, dann hinterlässt auch die mit digitalen Medien verbrachte Zeit ihre Spuren. … Unser Gehirn ist das Produkt der Evolution; es entstand also über einen langen Zeitraum durch Anpassung an bestimmte Umweltbedingungen, zu denen digitale Medien definitiv nicht gehörten.“
Alle Erfahrungen, die das Kind nicht macht, kann er natürlich in seiner Umwelt nicht verwenden.
Exzessives Computerspielen führt zum sozialen Abstieg durch entstehenden Kontrollverlust und Depressionen.
Am 25. November war Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer u. a. im SAT.1 Frühstücksfernsehen zu sehen und hat den Einfluss digitaler Medien auf den Menschen jeglichen Alters dargestellt. Bei dieser Gelegenheit hat er sein neustes Buch “Cyberkrank!“ vorgestellt.
Manfred Spitzer ist Vater von fünf Kindern ist und hat sich sicherlich nicht leichtfertig mit dem Thema „digitale Bildschirmnutzung“ auseinander gesetzt. Er verwendet es natürlich in seinem Leben zur Erleichterung für seine Arbeit, wie er sagt aber nicht als Schwerpunktzeitvertreib.
Ich habe versucht, meinen Text einfach zu formulieren und hoffe, dass viele Leser sich mit dem Inhalt auseinander setzen und somit auch mit etwas Skepsis den Bildschirm-Medien gegenüberstehen. Wen das Thema interessiert, empfehle ich, sich u.a. mit Spitzers Arbeit auseinander zu setzen (Quellen folgen am Ende).
Jeder Nutzer sollte sich kritische Gedanken machen, welche Auswirkungen die Mediennutzung auf sich selbst hat:
– Wie häufig nutze ich digitale Medien?
– Wieviel Zeit verbringe ich mit digitalen Medien?
– Wie abhängig bin ich von ihnen? (“Smartphone ist eine Volksdroge.“)
– Haben sich bisher erlernte Fähigkeiten verändert oder verlernt?
(…beeinträchtigt die Gehirnentwicklung und macht lebensunzufrieden…)
Der Mensch kann nur auf der Basis dessen, was er ist, seine Zukunft bestimmen!
Quellen:
1. Buch „Vorsicht Bildschirm“ von M. Spitzer
2. Buch „Digitale Demenz“, M. Spitzer, Droemer
3. Buch Hirnforschung für Neu(ro)gierige, Sitzer und Wolf Bertram, Schattauer
4. DVD „Lernen – Die Entdeckung des Selbstverständlichen“, Vortrag von M. Spitzer
(Jutta Heiermann-Lauber, Klassenpflegschaftsvorsitzende der Klasse 10 D, Stellv. Schulpflegschaftsvorsitzende)
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